Ich würde ‚Purpose‘ lieber in ‚Freude‘ tauschen …

Der Kölner Unternehmensberater und Autor Frank H. Sauer ist am 24. März 2023 in Linz zu Gast. – Ein Interview zur Einstimmung mit Ernst Demmel von cucocu.com

Er ist Autor der einzigen deutschsprachigen Werte-Enzyklopädie („Das große Buch der Werte“), in dem er 123 konstruktive Werte etymologisch herleitet, sie um hunderte Synonyme anreichert und ihre Bedeutung(en) verhandelt. Das Erhellende daran: Die Präzision, mit der er diese Sammlung betreibt, zwingt den/die Leser:in geradezu in eine vertiefte Auseinandersetzung. Das Lebendige daran: Das Kompendium ist nie abgeschlossen, wächst und entwickelt sich weiter – in seinem Werte-Lexikon und in darauf aufbauenden Methoden und Spielen. Und das Schöne daran: Man könnte denken, die Herangehensweise sei durch und durch kopflastig. – Ist sie aber nicht: Frank H. Sauer bettet seine Wertesammlung in ein methodisches Konzept ein, das er wortschöpferisch „Intuistik“ nennt und das zum Ziel hat, etwas Unmethodisches in der Gesellschaft – und vor allem in der Schaffens- und Arbeitswelt – wiederzubeleben. Kurzum: Eine wilde, intuitive Werte-Reise …

Frank, du beschäftigst dich seit Jahren mit Werten, hast dazu mehrere Bücher verfasst. Weshalb sollten Werte – abseits betriebswirtschaftlicher Messgrößen – ein Thema für Unternehmen sein?

„Aus meiner Sicht bilden die Wertvorstellungen aller Mitarbeiter:innen eines der wichtigsten Potenziale eines Unternehmens: Sie sind der Schlüssel zur Einsatzbereitschaft. Nur sind sie häufig gar nicht bekannt oder werden ignoriert.
Damit nimmt man sich die Chance, sie in die Haltungswerte der Organisation zu integrieren. Werden die Werte des Unternehmens mit jenen der Mitarbeiter:innen abgeglichen, entsteht eine höhere Akzeptanz und damit ein guter Boden für intrinsische Motivation. Und diese wirkt Wunder. Wir kennen das aus dem Team-Sport: ‚Mentalität schlägt Qualität!‘

Während sich NGOs, Parteien, Behörden, Vereine oder Glaubensgemeinschaften stets auf ihre Werteorientierung berufen haben, bedurfte es bei klassischen Unternehmen Simon Sineks „Golden Circle“, um dem Thema „Purpose“ mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wieso ist das Thema heute resonanzfähiger als vor 20 Jahren?

„Immer mehr Menschen interessiert nicht mehr nur, was sie tun, sondern wie oder wofür sie es tun. Das mag ein Resultat zunehmender Selbstoptimierung sein, drückt jedenfalls den Wunsch nach Selbstbestimmung aus – was ja grundsätzliches etwas Gutes ist. Werte beschreiben das ‚Wie‘ und legen somit auch die Art der gewünschten Kommunikation nahe, insbesondere die Haltung, mit der wir gemeinsam oder alleine arbeiten. Ich würde allerdings den schwergängigen Begriff ‚Purpose‘ lieber in ‚Freude‘ tauschen und die Sinnfrage durch die Lustfrage ersetzen.“
(Lacht)

Wie verständigt sich ein Betrieb nun zu „seinen“ gelebten Werten? Häufig scheint es ja so, als würden Unternehmenswerte im Vorstand in kleiner Runde beschlossen und dann intern per Rundmail ausgerollt. Dazu wird noch ein Value Statement beim Empfang platziert. Kann das deiner Ansicht nach so funktionieren?

„Nein, das funktioniert natürlich nicht. Leider ist das aber seit Jahren ein gängiger Fehler, geschuldet einer hochmütigen Denkweise, die wir ablegen müssen. Der Einstieg soll bei den Mitarbeiter:innen liegen, wenn nicht sogar bei deren Familien.
Das dauert etwas länger, ist aber langfristig um so wirkungsvoller. Wir müssen lernen, Mitarbeiter:innen als Kund:innen zu verstehen und herauszufinden, wie sie ticken. Und da geht es um ehrliches Interesse an den Menschen. Dieses ist auch die Basis für echte Kommunikation. Wir haben genau für diesen Zweck ein sehr einfaches Tool entwickelt, das wir MAWU nennen, welches von jeder Organisation eingesetzt werden kann.“

Will man in einem Werteprozess alle Mitarbeiter:innen an Bord holen, so wird das Gesamtbild schnell unübersichtlich – vor allem bei großen Organisationen mit mehren Standorten, verschiedensten Berufsbildern und Generationen von Mitarbeiter:innen. Wie wesentlich erscheint es überhaupt, gemeinsame Werte zu teilen? Würde es nicht genügen, in allen Bereichen Bewusstsein zu schaffen und Wertschätzung für die anderen zu fördern?

„Hmm, im Grunde ja. In hierarchischen Strukturen stößt das allerdings schnell an Grenzen. Zudem lässt sich Wertschätzung nicht auf Knopfdruck umsetzen.
Bewusstseinswandel ist etwas, das bislang eher durch Generationenwechsel stattfand. Zahlreiche Unternehmen wollen nun agiler werden. Ohne begleitende Änderungen, Management und Kommunikation betreffend, bleibt es beim Wunsch.
Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, Werte-Coaches auszubilden, die dauerhaft im Unternehmen agieren, statt nur am Unternehmen herumzuschrauben.
Aber es braucht hier den entsprechenden Rahmen, Wertarbeit als Basis, nicht als Kür – bis hin zu KPIs und Quartalszahlen. Nur so lässt sich ein tragfähiges Fundament für Unternehmenskultur schaffen: indem das Thema so ernst genommen wird wie Produktion oder Vertrieb.“

Du räumst ja in deinen methodischen Ansätzen der menschlichen Intuition eine zentrale Bedeutung ein. Dabei spielt auch „Authentizität“ eine Rolle. Welche Maßnahmen helfen aus deiner Sicht, Werte in Unternehmen und Organisationen – und gegenüber Dritten, etwa Kunden – spürbar zu machen?

„Langfristig gesehen ist Authentizität die stabilste, sicherste und kraftstrotzendste Charaktereigenschaft. ‚Ehrlich währt am längsten‘ kennen wir alle – gilt aber nur den Weitsichtigen und Geduldigen, die Integrität und Redlichkeit wirklich leben können. Dies erfordert Standhaftigkeit und ist ganz klar ein Ausdruck einer Geisteshaltung, eines Charakters. Und hat viel weniger mit Kalkül oder Ratio zu tun, als wir denken. Wenn wir Intuition Raum geben, werden psychologische Kräfte freigesetzt, die Wunder vollbringen. Das untergräbt zwar wiederum die Idee hinter KPIs und Quartalszahlen, reaktiviert dafür die Lust am Gelingen – mit allem was dazugehört: Teamgeist, Vertrauen, Kontrolle, Inspiration und Begeisterung für das, was uns einzigartig macht. Bestenfalls im Sinne von dem, was uns alle im Kern umtreibt: ‚Höchstleistung durch Menschlichkeit‘.“

Danke dir, Frank.

Details und Anmeldung zum Workshop am 24. März 2023 in Linz findest du hier.

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